Mit der BetaCodex-Transformation zur Selbstorganisation
Unser Weg zu einem Agilen Beta-Unternehmen
Liebe Leser*innen,
in diesem Beitrag möchte ich für Sie unseren F7-Weg des elementaren Wechsels - von einer pyramidenartigen Organisationsstruktur hin zur Selbstorganisation - nachzeichnen. Ich werde gerade in der Vorgeschichte recht offen beschreiben, wie ich rückblickend die damaligen Strukturen bei F7 wahr nehme. Eines sei dabei vorweg gesagt: Aus heutiger Sicht bin ich sicher, dass dieser Wechsel für uns der absolut richtige Weg war und ist. Ein ernsthafter Umbau der Unternehmensorganisation hin zur Selbstorganisation ist extrem tiefgreifend und kann in kein Zeitfenster passen. Es ist ein gemeinsamer Weg, der wohl nie zu Ende ist, aber es ist ein guter Weg. Die Zeit von 2018 bis heute war aufregend, spannend, manches Mal auch frustrierend, jedoch mehr als lohnenswert. Jedes Unternehmen mag für sich eine andere Ausgangssituation haben, warum ein neue Organisation als notwendig erachtet wird. Der dadurch eingeschlagene Weg wird aber sicher ein ähnlicher sein. Wer Selbstorganisation will, kommt an Beta nicht vorbei.
Vielleicht befindet sich ihre Unternehmung auf einem ähnlichen Weg wie wir, oder vielleicht überlegen Sie ja auch gerade, ob ein solcher Weg für ihre Unternehmung der Richtige sein könnte. Was uns damals bewegt hat und heute noch bewegt, ist im Folgenden niedergeschrieben.
Openspace Beta
Ein wichtiger Hinweis noch: Wir haben uns für eine Transformation mit Hilfe des OpenSpace-Beta-Transformationsansatzes entschieden. Dieser findet seine Basis im BetaCodex mit seinem Satz an 12 Prinzipien. In diesem Beitrag gehe ich nicht näher auf den BetaCodex und OpenSpace Beta ein, werde am Ende jedoch einige weiterführende Empfehlungen dazu auflisten. Wenn es für mich passt, werde ich zu einem anderen Zeitpunkt noch etwas tiefer in unsere Transformation einsteigen, und vielleicht entsteht dann sogar eine kleine Beitragsreihe rund um das Thema OpenSpace Beta und BetaCodex.
Die Vorgeschichte
Zurück im Jahr 2018 dachten mein Geschäftspartner Claas und ich, dass wir bei F7 eine wirklich tolle, funktionale Mannschaft sein würden. Aber stimmte diese Wahrnehmung oder lagen wir zutiefst falsch? Vermehrt wurde uns von Kolleg*innen zugetragen, dass es Spannungen gäbe und hier und da schlechte Stimmung herrschen würde. Für uns beide war dies “komisch”, denn wenn Claas und ich morgens ins Büro kamen, wirkten alle auf uns recht gut gelaunt. Was war bloß los?
Irgendwann war der Zeitpunkt erreicht, wo klar wurde: Wir müssen reden. Seit wir von den Spannungen hörten, liefen unsere inneren Scanner auf Hochtouren.
Wie es dazu kam
Was war die Ausgangssituation und was war schließlich der Auslöser für die Erkenntnis?
Die Auftragslage bei F7 war sehr gut und wir arbeiteten sozusagen “was das Zeug hält” vor uns hin. Natürlich waren wir stets zu wenige für die viele Arbeit - aber wer in unserem Business kennt das nicht? Also kamen neue Kolleg*innen dazu und ab und an verließ jemand mal F7, allerdings stets im Guten.
Als Startup kamen wir bisher gut voran. Aber nun waren wir ein großes Team geworden und wollten immer professioneller arbeiten. Wir entwickelten deshalb unsere Organisationsstruktur immer weiter. Seit 2018 gab es natürlich “Abteilungen” und damit plötzlich die klassische Pyramiden-Organisation: Geschäftsführung, Projektmanagement, Konzeption/Design, Backend, Integration und Frontend. Das war scheinbar toll und ja auch in anderen Unternehmen bewährt.
Aber was lief dann bei uns nicht richtig? Die Zeitpläne gingen irgendwie nie auf. Was uns ziemlich schnell auffiel, war der tägliche “Ressourcenkampf” der Projektmanager. Claas - obwohl Geschäftsführer und “nur am Rande” Projektmanager - war historisch bedingt (Er war früher der einzige Projektmanager bei F7) für fast alle unsere Kunden der Ansprechpartner im jeweiligen Projekt. Die eigentlichen Projektmanager*innen hatten ständig um ihre Ressourcen zu bangen, denn die Arbeitseinteilung für alle Abteilungen war klar:
Für unsere Entwickler*innen kam ERST der Geschäftsführer im Projektmanager-Gewand und DANACH die Projektmanager*innen.
Was den Negativeffekt zusätzlich verstärkte war, dass eigentlich alle einen Projektplan verfolgten, Claas die Sachen aber eher pragmatisch anging und seine To-dos “gefühlt spontan” und nach Bedarf verteilte. Und so war der morgendliche Projektmanager-Run schon zur Routine geworden. Wer zur falschen Zeit kam, ging leer aus oder musste warten.
Was mich im nachhinein wundert, ist, dass wir dennoch immer alles fertig bekamen und das bei stets guter Qualität. Erklären lässt sich dieser Umstand nur damit, dass unsere Kolleg*innen unglaublich engagiert und im bestehenden System geduldig waren.
Irgendwann waren “die Batterien” dann wohl nicht nur bei den Projektmanager:innen leer, sondern auch bei den Kolleg*innen aus der Technik und der Konzeption. Rückblickend wird klar, dass diese Arbeitsweise nur aufs Gemüt schlagen kann und im “Hintergrund” zu Spannungen führen musste.
“Wir müssen Reden” - oder auch “Chef sein will anscheinend gelernt sein?”
Claas und ich waren unseren Kolleg*innen immer eher freundschaftlich verbunden, das ewige StartUp halt ¯\_(ツ)_/¯. Dennoch stand unausweichlich etwas im Raum und besonders ich musste mir dies eingestehen - was mir irgendwie schwer fiel. Ja, es gab eine Unzufriedenheit bei den Kolleg*innen, und ja, es wurde Zeit darüber zu reden! Und das taten wir dann auch. Wir waren uns einig, dass wir viel zusammen geschafft hatten und uns alle miteinander durchaus mögen. Keiner von uns wollte, dass etwas davon durch weitere Untätigkeit zerstört wird.
Bei den ersten Gesprächen kam vor allem eins heraus: Die Kolleg*innen wollten keine Chefs als reine Freunde. Sie wollten Chefs, die F7 eine Richtung aufzeigen, die führen und entscheiden und dabei ein Leitbild vorgeben und das auch leben. Und die Kolleg*innen wollten keinen Chef haben, der gleichzeitig noch Projektmanager ist.
Chef sein will anscheinend gelernt sein, denn ab diesem Moment fing gerade ich an vieles irgendwie - ich sags so offen - falsch zu machen. So neigte ich dazu, alles mögliche zu relativieren, was für andere Kolleg*innen sehr wichtig war. Oder ich vermittelte plötzlich pure Unsicherheit, weil ich Projekte und Umsatz in Gefahr sah. Claas und ich widersprachen uns auch oft noch, was alle irritierte.
Ich erinnere mich noch gut daran, dass ich selbst immer zögerlicher und unnachgiebiger mit mir selbst wurde, weil mir die Fehler selbst auffielen.
Es dauerte also nicht lange, da hatte sich zur herrschenden Unzufriedenheit noch eine Unsicherheit gestellt, die die Kolleg*innen spürten.
Versuche in die falsche Richtung
Wir fingen an, bei Problemen punktuell gegenzusteuern, und versuchten Kolleg*innen, auf die wir keinesfalls verzichten konnten, irgendwie besser zu stellen. Das spürten die Anderen natürlich recht schnell.
Im nachhinein treibt mir die Erinnerung an das Alles die Röte ins Gesicht, aber es ist mir wichtig, diese Fehler hier offen aufzuzeigen. Ich bin sicher, dass unsere damaligen Verhaltensmuster Teil einer Entwicklung waren, die nicht nur ich durchlebt habe. Erkennen Sie sich vielleicht wieder?
“Chef sein will anscheinend gelernt sein” - das ist Quatsch und macht alles nur noch schlimmer. Managementtools, Statusgedöns und Führungslehrgänge sind immer nur eine Art Umhang, den man sich als “Chef” umlegt. Wenn es zwischenmenschlich ernst wird, macht man es entweder wie ich falsch oder die Kolleg*innen durchschauen den coolen Tarnumhang sofort und fühlen sich nicht ernst genommen.
Zum Glück waren unsere pfiffigen Kolleg*innen hellwach und trieben den Prozess “Wir müssen reden!” energisch voran. Und gemeinschaftlich kam es recht zügig zum Beschluss: Wir brauchen dafür Ruhe und externe Hilfe.
Auf ins Landhaus
Die Arbeit am Menschen - oder “Welcome Back, Spannungen”
Wenn du nicht mehr weiter weißt, dann bilde einen Arbeitskreis. Wer erinnert sich nicht noch an diesen Spruch? Gesagt - getan, aber mit professioneller Hilfe! Claas und ich hatten schon seit 2017 guten Kontakt zur einer Mediatorin und Trainerin. Gabi war sofort bereit, uns zur Seite zu stehen. Nachdem wir unsere Idee im Unternehmen kundgetan hatten, kam sofort eine spürbare Aufbruchstimmung auf. Wir wollten uns ein ganzes Wochenende lang einschließen und intensiv miteinander arbeiten. Über zwei Monate hinweg wurde an einer Themensammlung gearbeitet und dann ging es endlich los, ab ins Landhaus Kurzenmoor bei Hamburg.
Tipp: Tolle Location für Meetings oder Workshops in gemütlicher Atmosphäre: landhaus-kurzenmoor.de
Es kamen interessante Themen zusammen, die nicht nur mir eine neue Sicht auf F7 und die Menschen dahinter eröffneten - sondern auch vieles der oben beschriebenen Problemen bestätigte. Hier einige Themen-Auszüge, die von den Kolleg*innen eingebracht worden sind:
- Gleichstellung der Kollegen.
- Das Arbeitsklima muss verbessert werden. Wenn die Chefetage schlechte Laune hat, dann hat die ganze Firma schlechte Laune.
- Es müssen bessere Absprachen getätigt werden - zwischen allen Abteilungen.
- Einmischung in Projekten vermeiden.
Insgesamt hatten wir mehr als 30 Themen, welche wir intensiv bearbeiteten (Aber, wenn man ehrlich ist: die Arbeit hatte im Wesentlichen nur Bezug auf die Menschen, die hinter F7 stehen. "Du musst, wir sollten, Ihr könntet ..." ).
Es kam zu sehr vielen guten und bis heute nutzbaren Ergebnissen. Hier hat Gabi wirklich hervorragende Arbeit geleistet. Aber auch die Initiative der Kolleg*innen war herausragend. Am Ende unser Veranstaltung wurde ein großes Commitment verfasst und von allen feierlich unterschrieben.
Als wir nach dem Wochenende wieder im Büro zusammen kamen, war die Laune bestens, und von den zuvor genannten Spannungen nichts mehr zu spüren. Aufschwung und Teamgeist über die Abteilungen hinweg machten sich breit. Das unterschriebene Commitment stand fast mahnend auf einem großen Whiteboard, für alle sichtbar aufgestellt im Konferenzraum. Jeder von uns sollte an die gute Zeit im Landhaus erinnert werden. Eine tolle Arbeit mit Menschen, am Menschen.
Ein neuer Ansatz
Nach einiger Zeit schlichen sich wieder die alten Muster in der Zusammenarbeit ein. Das fiel vielen Kolleg*innen auf und es wurde versucht daran zu erinnern, was wir im Commitment vereinbart hatten. Teils waren es organisatorische Themen, teils wieder die Arbeit an einem selbst. Ehrlicherweise haben wir dann letztendlich stillschweigend hingenommen, dass wir wieder in die alten Muster zurückgefallen sind und diese lebten.
Als wir einen neuen Versuch zur Bewältigung unser Probleme (der Weg war noch unklar) starten wollten, meinte ein Kollege im Meeting direkt: “Da wird also jetzt die nächste Sau durchs Dorf getrieben.” Dieser Ausspruch gab das Stimmungsbild im Unternehmen wieder - welcome back “Spannungen”.
Die agile Softwareentwicklung - oder der “zufällige” Einstieg in die Arbeit am System
Irgendwann verfestigte sich bei uns die Idee, agil arbeiten zu wollen. Wir überlegten gemeinsam, wie wir dieses Vorhaben am besten umsetzen könnten. Welchen Weg sollten wir genau einschlagen? Welche Vorraussetzungen müssen wir dafür schaffen?
Unsere Erfahrungen während und nach dem Wochenende im Landhaus zeigten, dass wir besser wieder auf professionelle Hilfe zurückgreifen sollten. Damals stand ich mit meinem Kollegen Marc zum Thema agile Arbeitsweise im Austausch. In einer E-Mail schlug ich mehrere Coaches vor, unter anderem Peter Pröll. Marc kannte Peter sehr gut von seiner Arbeit im TYPO3 Education Committee und ich konnte mich an ihn bei einem TYPO3-Sprint gut erinnern. Somit stand für mich recht schnell fest, dass ich Peter fragen musste, ob er uns weiterhelfen kann.
Das erste Telefonat war für mich sofort wertschöpfend. Peter machte klar, dass viel über “Agile” gesprochen wird, wirklich agiles Arbeiten jedoch nur unter echter Selbstorganisation funktioniert. Ich verstand, dass hier ein großer Wandel nötig ist, der das ganze Unternehmen betreffen würde und berichtete Claas und Marc von dem Gespräch. Marc schien zu ahnen, was passieren würde, denn er saß nur da und grinste über das ganze Gesicht vor Freude.
Claas und ich bekamen viel Zeit, um über die ersten Anregungen und Angebote nachzudenken. Letztlich dauerte es aber nicht lange: Bereits am nächsten Morgen bestätigten wir Peter unsere Zusammenarbeit. Nach einiger Vorbereitung war es soweit: Unser erster gemeinsamer Termin fand Mitte Februar 2019 in Hamburg statt.
Der initiale Termin mit Aha-Effekt
Dieser erste Termin vor Ort in unserem Büro diente der Analyse des Ist-Zustandes. Nur Peter, Claas und ich saßen in unserem zweiten, wirklich kleinen Konfi am Tisch zusammen. Es wurde echt hart gearbeitet, mitten drin, mitten im Zentrum des Unternehmens, umringt von unseren Kolleg*innen, die in ihren Büros fleißig waren.
Peter kam mit einer ersten Erkenntnis um die Ecke: Wir wären eine viel zu große Gruppe, die ungleich verteilt die Abteilungen bilden. So könne man nicht arbeiten, es müssten Teams her! In jedem der Teams wäre jede Rolle mindestens einmal vertreten. Und so ergeben sich dann feste Arbeitsgruppen, die keinem Ressourcenkampf mehr ausgesetzt wären.
Wow, dass war ein richtiger AHA-Effekt! Warum waren wir da nicht selbst drauf gekommen? Vielleicht war es akute Betriebsblindheit? Vielleicht haben wir als Geschäftsführung auch einfach die Anregung, in Teams zu arbeiten, vorher überhört, oder nicht hören wollen? Who knows , who cares ¯\_(ツ)_/¯ .
Nachdem wir in der Analyse gut vorangekommen waren und auch irgendwann das Thema “agiles Arbeiten” auf dem Tisch lag, erzählte uns Peter von der Möglichkeit einer Transformation hin zur echten Selbstorganisation. Er machte uns klar, dass agile Softwareentwicklung ein wirklich agiles Unternehmen/Team benötigt. Pyramidenartige Leitungspositionen und “Abteilungen” seien da total hinderlich. Wer wirklich agil arbeiten möchte, muss eben vollkommen der agilen Idee entsprechen.
Wir sprachen über echte Selbstorganisation versus dem Taylorismus, der wohl noch am weitesten verbreiteten Organisationsform in Ökonomien. Und wir sprachen über Douglas McGregor und seine X-Y-Theorie, in der es keine X-Menschen, die rein extrinsisch motiviert werden, geben kann. Nach all diesen Themen wurde mir erstmals klar, warum unsere vielen vorherigen Bemühungen zwar ehrenwerte Ansätze waren, jedoch mehr oder weniger erfolglos geblieben sind.
Und schon wieder so ein AHA-Effekt! Wir haben mit gutem Vorsatz “am Menschen” gearbeitet. Aber hier ist es nicht der Mensch, der sich anpassen oder ändern muss, hier muss sich das System, die Organisation, das Arbeitsumfeld ändern, damit Selbstorganisation überhaupt erst entstehen kann! Wir müssen “am System” arbeiten!
Uns wurde plötzlich klar, dass dieser Ansatz nicht nur dabei hilft, agil zu arbeiten, sondern uns Lösungen für all die Probleme anbietet, denen wir bisher nur hinterher gelaufen sind.
Lasst uns Arbeit so organisieren, dass intrinsische Motivation aufblüht, und so Menschen Y sein können.
All dieses und vieles mehr wurde durch Peter für uns an einem Tag in einen Begriff manifestiert, der unser neues “Wollen” darstellen sollte: der BetaCodex. Und wir hatten sie auf einmal greifbar vor uns, die Möglichkeit einer Transformation in 90 Tagen.
Tipps zum Betacodex
Wie in meiner Einleitung erwähnt, will ich hier inhaltlich nicht sehr tief auf den BetaCodex eingehen, daher an dieser Stelle zwei Tipps (weitere finden sich am ende des Beitrags):
- Organisation für Komplexität: Niels Pfläging beim Innovation Day 2017 zum Anschnuppern bei Youtube:
https://www.youtube.com/watch?v=CuarBg0U2zc (Wer keine Zeit hat schaut ab Minute 29) - Prinzipien hinter dem Agilen Manifest:
https://agilemanifesto.org/iso/de/principles.html
In 90 Tagen um die eigene Welt
Das erste Openspace - was können wir in den nächsten drei Monaten verbessern?
Am 05.03.2019 ging unsere Einladung an die Kolleg*innen raus. Bei der genauen Formulierung hatten wir es uns wahrlich nicht einfach gemacht. Einerseits wollten wir unbedingt vermitteln, wie wichtig uns das Thema Transformation zur Selbstorganisation ist. Andererseits sollte die Lust zur Mitgestaltung sozusagen von alleine überspringen. Niemand sollte wieder auf den Gedanken kommen, dass nur wieder “die nächste Sau durchs Dorf getrieben” wird. Irgendwann hatten wir unsere Einladung, die natürlich auf Freiwilligkeit basierte, fertig formuliert. Der Ton fiel locker aus, typisch F7 halt. Und der Text war im Ganzen ernsthaft, aber simpel. Hier ein kleiner Auszug:
Du hast Lust, mitzumachen? Wer Bock hat, F7 mit uns weiter nach vorne zu bringen, den laden wir am 22. März um 9:30 Uhr zu einem OpenSpace Meeting ein. Die Teilnahme ist absolut freiwillig. Das Meeting hat keine Agenda, jedoch einen Themenrahmen: „Was können wir in den nächsten drei Monaten verbessern?“
Zu unserer großen Freude sagten alle Kolleg*innen zu. Wieder so ein AHA-Effekt! Stellt man ein Umfeld bereit, dass auf Freiwilligkeit basiert, aber von Ernsthaftigkeit und Konsequenz geleitet ist, dann wollen alle mitgestalten, weil sie sich wirklich ernst genommen fühlen.
Am 22.03.2019 war es soweit: Unser erstes OpenSpace startete. An diesem Tag waren wir alle voller Arbeitsfreude. Zuerst wurden die Grundlagen des OpenSpace besprochen. Basis war derOpenSpace-Beta-Transformationsansatz, der auf dem BetaCodex aufbaut. Darin findet der Prinzipiensatz zum gemeinsamen, kooperativen Arbeiten in einer Organisation in Form von Selbststeuerung und auf Basis von Dezentralisierung seine Anwendung. Als essentiell sehe ich dabei die 12 Gesetze des BetaCodex an. Sie können als die ideale Lernhilfe zur Vertiefung der Prinzipien organisationaler Selbstorganisation und Agilität verstanden werden.
TIPP: https://www.redforty2.com/openspacebeta
Die Themenfindung für das ersten OpenSpace bei F7 fand teilweise schon im Vorwege statt. Während des Meetings kamen aber zusätzlich reichlich Themen hinzu. Es gab letztlich so viel, was die Kolleg*innen beschäftigte, dass es immer vier Sessions mit fester Timebox gleichzeitig brauchte, um irgendwie durch den ersten Tag zu kommen.
Ein harter und ein erhellender Tag. Ich kann mich noch erinnern, dass in einer Session das Thema “Gehaltsverhandlungen” besprochen wurde. Die Selbstorganisation nahm Fahrt auf. Das machte etwas mit mir: Im ersten Moment bekam ich einen Schreck. Das ist doch eigentlich eine Geschäftsführer-Angelegenheit?! Nonverbal wurde mir durch die Teilnehmenden klar mitgeteilt “Vertrau’ uns mal, wir machen das schon". Wieder so ein AHA-Effekt. Selbstorganisation ist eben auch Selbststeuerung in allen Bereichen.
Da ich hier nicht den ganzen Tag beschreiben kann, sei nur kurz angemerkt, dass noch ein weiterer Tag mit einer Konsolidierung und Ergebnisorientierung folgte, sowie zwei weitere “Deep Dive” Termine zur Vertiefung der BetaCodex-Prinzipien, aber auch anderer Themen, wie beispielsweise agiles Arbeiten und Requirement Engineering.
Dem Konzept der Transformation von OpenSpace Beta folgend, fand dann am 25.06.2019 das zweite OpenSpace Meeting statt.
Tandems und Flippen haben nichts mit Fahrrädern oder Biene Maja zu tun
Zu Beginn der 90 Tage Transformation haben wir zwei Techniken gelernt, die wesentlich für die Veränderung in unserer Organisation waren, beziehungsweise es immer noch sind: Tandemgespräche und Flipps. Ich erwähne hier im folgenden diese beiden Werkzeuge nur als für uns wichtige Beispiele. Es gibt noch viele andere Tools, die einem bei der Transformation sehr helfen. Tandemgespräche und Flipps führen meiner Meinung nach jedoch sehr schnell zur spürbaren Veränderungen, was die Drehzahl insgesamt ungemein hoch hält.
Das Tandem
Hat eine Kollegin oder eine Kollege ein Thema für sich aufgetan, das für die Organisation werthaltig sein kann, dann sucht die- oder derjenige sich eine*n Tandempartner*in, um das Thema zu bearbeiten. Das Tandem-Treffen findet in offener Runde statt, interessierte Kolleg*innen können daran teilnehmen. Vorausgesetzt wird aber, dass die anderen Teilnehmer*innen etwas zum Tandem beitragen können und im besten Fall auch noch Könnerschaft mitbringen, sich also mit dem anstehenden Thema auskennen.
Flipps
Entstehen aus Tandems oder anderen Formaten, die sich im Laufe der Zeit entwickeln (so z.B. Knowledge Camps), Änderungswünsche oder -ideen, so werden diese als Flipps in der Organisation “ausprobiert”. Bewährt sich die Änderung, wird die Neuerung dann eventuell von Anderen in der Organisation übernommen. Flippen heißt hier also Dinge auszuprobieren, und dann je nach Ergebnis wieder zu verwerfen oder zu übernehmen.
Wir bilden Teams
Ich hatte ja erwähnt, dass Peter uns die Bildung von Teams angeraten hatte. Nun war es soweit, aber nicht, weil wir die Teambildung vorgegeben haben, sondern aus einem ganzen anderen Grund: Unser Kollege Simon hatte als Product Owner einen Neukunden auf dem Tisch und wollte nun die Erfahrungen aus dem OpenSpace umsetzen. Er formulierte den Wunsch, ein eigenes Team zu gründen, mit dem er fest zusammenarbeiten kann. Nach einigen Diskussionsrunden war dann klar, dass wir alle Teams wollten - und zwar jetzt.
Für jedes Team gab es einen eigenen Raum, indem alle Teammitglieder zusammenarbeiten konnten. Die Teams fanden sich erstaunlich schnell selbst. Dabei ging es mitnichten nur um solche Sachen wie Sympathie, sondern auch um vernünftige Zusammensetzungen, damit die Kunden eine optimale Leistung von den Teams erwarten konnten.
Wobei sich gleich schon mal der nächste AHA-Effekt für mich einstellte. Das war eine Facette der Selbstorganisation! Durch Nicht-Steuerung war das Ergebnis besser, als wenn die Geschäftsführung Einfluss genommen hätte. Und ups, wo sind denn unsere “Abteilungen”? Die haben sich selbst “abgeschafft”. Wir hatten die Pyramide strukturell zum Einsturz gebracht, Zellen gebildet und nahmen in einem Pfirsich Platz. Nun mussten wir nur noch den BetaCodex-Geist aus der Flasche lassen.
Was hat sich seit dem Landhaus verändert? Alles.
TIPP mal gleich vorweg: Falls Sie Musik hören empfehle ich jetzt auf AC/DC Live At River Plate umzusteigen und zwar LAUT!
Es hat sich bei F7 seit Beginn der Transformation sehr, sehr viel geändert. Wir arbeiten nicht mehr in Silos (Abteilungen), sondern in Zellen (Teams). Führungsebenen, Statusgedöns, Planungen, Budgetierung, Zielvorgaben, Personalgespräche und all die anderen nichtssagenden Zeiträuber wurden abgeschafft. Es gibt formal noch eine Kernarbeitszeit, diese bildet aber nur noch den Rahmen, damit der Markt weiß, wann wir “außerdem” noch erreichbar sind. Alle Kolleg*innen arbeiten seit Beginn der Corona-Pandemie zuhause. Neuerdings (Stand August 2021) finden sich einige Geimpfte und Genesene wieder langsam im Büro ein.
Unsere Teams haben sich Namen gegeben, um Identität zu schaffen (und weil es einfach mega Spaß macht): Apollo, Sputnik und Voyager.
Die Arbeit in den Teams
Die Teams arbeiten selbstorganisiert, was bedeutet, dass jedes Team seine Tools und seine eigenen Techniken nutzt. Dabei steht im Vordergrund, was jeweils für uns und unseren Kunden das Beste ist. Die Teams arbeiten mit “ihrer agilen Methode”. Diese ändern oder entwickeln sie ständig weiter. Und unsere Projektmanager*innen nennen sich jetzt Product Owner:innen.
Best Practice werden bei Bedarf unter den Teams vererbt. Alle stehen im Austausch miteinander, sind vernetzt und helfen sich gegenseitig. Es werden dazu zum Beispiel Lean Coffees und Knowledge Camps durchgeführt. Alles was darüber hinausgeht, findet im “Flurfunk” (Slack, Küche, sonstwo) oder in Tandems seinen Raum. Die Teams legen ihre Teamzeiten und Meetings fest, in denen sie nicht gestört werden möchten. Diese Zeit gehört dem konzentrierten Arbeiten, denn Wertschöpfung und Vermeidung von Verschwendung steht stets im Vordergrund. Erfolge und Mißerfolge werden zwischen den Teams rege ausgetauscht und führen so zu Learnings oder Innovationen. Es gibt keinen Einflussnahme durch die Geschäftsführung auf diese Organisation.
Die Teams stehen in direktem Dialog mit ihren Kunden. Das führt zur Minimierung von Informationsverlusten und zu schnellen Ergebnissen - es schweißt Kunde und Team zusammen.
Es gibt volle Transparenz über Umsätze, Kosten und Kostenimplikationen. Hierzu haben wir unsere Inhouse-Software stark erweitert. Die Teams prüfen ständig ihre Wirtschaftlichkeit. Wenn Informationen für Beurteilungen fehlen, dann fordern die Teams diese Informationen beim Team Gravity (siehe unten) an. Lohnerhöhungen oder auch Personalentscheidungen werden in den Teams besprochen und beschlossen. Die Teammitglieder*innen bilden sich weiter und tauschen Gelerntes miteinander aus. Regelmäßig findet an einem Nachmittag eine F7-Lounge statt (in der Pandemie online). Der Rahmen dieser Lounge ist komplett informell. Bei einem Bierchen wir über alles mögliche gesprochen, die Musik läuft, manchmal tauchen Gäste oder Familienmitglieder auf.
Außerhalb der Teams und in der Mitte
Auch Claas und ich, nur noch formal gesehen “die Geschäftsführung”, und die weitere Administration haben einen neuen Platz im Unternehmen gefunden. Wir sitzen sozusagen in der Mitte, umringt von unseren Zellen/Teams. Wir nennen uns Gravity und es ging uns noch nie so gut!
Wir verstehen uns als Dienstleister unserer Teams. Zu unseren Aufgaben gehört zum Beispiel die Hilfestellung in der formalen Ebene. Wir unterstützen bei Rechts- und Vertragsfragen, kümmern uns um das Rechnungswesen und das Steuergedöns. Wir schalten Jobanzeigen und überweisen die Löhne, denn auch dass ist eine Dienstleistung gegenüber den Teams.
Gravity ist auf dem Weg, die hierarchischen Struktur auf das einzugrenzen, wofür sie gut ist. Compliance ist vom ökonomischen System vorgegeben und kann nicht abgeschafft werden. Geschäftsführung, Datenschutz und ähnliche Auflagen sind nach außen hin einfach zu erfüllen. Gravity bietet daher die unbedingt nötige Hierarchie zur Hütung der Compliance. Im Bedarfsfall muss Gravity dann sein Veto “so geht das leider nicht” einsetzen, um Konflikte zwischen Selbstorganisation und Compliance zu verhindern. Ich glaube aber nicht, dass dieses Veto zum Einsatz kommen wird.
Wir sind also ein Beta-Unternehmen, welches sich auf einer guten Reise befindet.
Mein Fazit
F7 hat sich verändert. Aus der anfänglichen Frage, wo die Spannungen zwischen Kolleg*innen herkommen, ist eine Transformation entstanden, die mehr als lohnenswert ist. Kurz gefasst lässt sich festhalten: Es gibt jetzt schon volles Vertrauen, viel Verantwortung, sehr viel Dynamik und Flexibilität. Wir sind in allem schneller geworden und der Umsatz ist gestiegen. Nur wer in einem guten Umfeld und unter besten Bedingungen seiner Arbeit nachgehen kann, wird hoffentlich seine Zufriedenheit erfahren. Und nur so entsteht dann Wertschöpfung, die so viel mehr ist als Geldverdienen.
Es gab viele AHA-Effekte, die gerade mich reifen ließen. Hier einmal einige Beispiele:
- Jedes Start-up hat grundsätzlich die beste Selbstorganisation, um in komplexen Märkten zu bestehen. Dieser merkwürdige Zwang, sich ab einer gewissen Mitarbeiterzahl eine Pyramide zu bauen, wurde F7 fast zum Verhängnis. Der Taylorismus hatte seine Zeit, jetzt ist Beta.
- Heute fällt mir zum Thema “Landhaus” Rosa von Praunheim ein: “Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“. Dies läßt sich gut umdeuten: “Nicht der Mensch ist das Problem, sondern das System in dem er arbeiten muss”. Wir gaben uns im Landhaus alle Mühe, den Menschen zu verstehen und zu ändern. Das war hochgradig manipulativ und übergriffig. Geholfen hat uns allein die Arbeit am System. Und noch eins: Sprache triggert unser Denken und Verhalten. Wenn Sie sich in meiner Gefühlswelt vor dem Landhausbesuch wieder finden können, dann denken Sie am besten gleich auch über Ihre Sprache nach, denn meine damalige verstärkte mein Fehlverhalten zusätzlich. Es gibt eine Sprache des Lichts, die viel schon am Anfang zum Positiven wenden kann. Panik und schlechte Laune machen alles nur noch schlimmer (siehe Literaturtipps).
- Schon die erste Aktion in Richtung Selbstorganisation, nämlich das Teambuilding ohne Einflussnahme der “Führungsebene”, war erhellend. Führungskräfte helfen den Kolleg*innen, sich sicher zu fühlen, sie fördern das Denken. F7 creates leaders!
- Menschen sind Y! Stellt man ein Umfeld bereit, dass auf Freiwilligkeit basiert aber von Ernsthaftigkeit und Konsequenz geleitet ist, dann fügt sich vieles andere von allein. Kolleg*innen in einem solchen Umfeld ist das Wohlergehen der Unternehmung niemals egal - ganz im Gegenteil!
- Selbstorganisation ist Selbststeuerung in allen Bereichen. Das bedeutet für Inhaber und Geschäftsführung: Transformation ganz oder garnicht. Sicher gehört eine ordentliche Portion Vertrauen dazu, aber am wichtigsten ist Ihre Entschlossenheit. Wenn Sie Beta nicht vorleben, wird es sich nie im Unternehmen entfalten können. Zur traurige Wahrheit gehört, dass es schwer, wenn nicht gar unmöglich ist, aus einer Abteilung heraus eine Beta-Transformation zu starten. Die inneren Widerstände sind einfach zu groß, wenn die Einladung nicht von den Inhabern/Geschäftsführern ausgeht.
Eine gute Transformation generiert keine Verlierer. Dies bleibt mein Leitsatz während unser Reise. F7 hat sich toll entwickelt, aber es gibt noch viel zu tun. Sicher machen wir vieles auch noch nicht richtig, aber wir sind lernwillig und halten die Augen offen, und es ist halt auch eben unsere Transformation! Als nächstes steht, hoffentlich bald, ein weiteres OpenSpace Meeting an. Corona hat uns etwas ausgebremst, denn ein solches Meeting macht nur richtig Spaß, wenn man mit allen Interessierten zusammensitzt und gestaltet. Meiner Meinung nach geht in Videokonferenzen sehr viel Potential verloren, weil der Regelkrampf (Netiquette usw.) und Verbindungsstörungen eine konzentrierte und gerechte Arbeit einfach hemmen.
Ach: Vielleicht noch eine Sache zum Schluss diese Beitrags: Unsere Kolleg*innen bieten Claas und mir jetzt ganz neue Möglichkeiten. Kontrollverlust ist in solcher Organisation plötzlich ein positiver Begriff, das Tollste auf der Welt. Alles läuft wie geschmiert und so haben wir wieder Zeit für die wirklich schönen Aufgaben einer Geschäftsführung. Zur Zeit planen wir im September eine kleine Deutschlandrundreise durchzuführen. Endlich mal wieder unsere Kunden treffen, selbst wenn Corona noch nicht ganz überstanden ist. Natürlich hoffen wir auch auf den einen oder anderen neuen Kontakt.
Geplant ist die Route Berlin - Dresden - München - Augsburg - Ulm - Düsseldorf und zurück. Vielleicht kreuzen wir ja sogar Ihren Weg und Sie haben Lust uns Beta-Jungs kennenzulernen? Dann kontaktieren Sie mich einfach! Ansonsten freue ich mich natürlich über ein Feedback per E-Mail.
Vielen “Zwischen-Dank” an Peter Pröll für seine Unterstützung bei unserer Transformation!
Literatur-, Video- und Podcast-Tipps
Betacodex / Openspace Beta
- Red42 GmbH - Silke Hermann und Niels Pflaeging
https://www.redforty2.com/deutsch/
hier insbesondere folgende Lektüre aus dem Shop:- Broschüre No. 1: Die 12 Gesetze des Beta-Kodex
Die 12 Gesetze des Beta-Kodex - prägnant, griffig und anschaulich erklärt! - Broschüre No. 3: Zellstrukturdesign
Die Grundlagen und Prinzipien zeit- und komplexitätsgemäßer Organisationsgestaltung - Komplexithoden
Clevere Wege zur (Wieder)Belebung von Unternehmen und Arbeit in Komplexität. - Organisation für Komplexität
Wie Arbeit wieder lebendig wird - und Höchstleistung entsteht. - Die Macht der Sprache Poster
3. Auflage - Deutsche Version 2020. Jetzt im neuen Design mit mehr als 320 Begriffen - In jedem Unternehmen steckt ein besseres
Zeitorientierte Betriebswirtschaft mit dem Weichselbaum-System.
- Broschüre No. 1: Die 12 Gesetze des Beta-Kodex
- Alinbu Consulting - Peter Pröll
https://alinbu.net/wissen/openspacebeta - Sichtart e.U. - Podcast von Elisabeth Sechser
https://www.sichtart.at/podcast/
Just for Fun
- David Marquet, Turn The Ship Around!
https://www.youtube.com/watch?v=ivwKQqf4ixA - Organisation für Komplexität: Niels Pfläging beim Innovation Day 2017
https://www.youtube.com/watch?v=CuarBg0U2zc - Prinzipien hinter dem Agilen Manifest
https://agilemanifesto.org/iso/de/principles.html - Das BetaCodex Online Meetup - Unbedingt Mitmachen!
https://www.meetup.com/meetup-group-betacodex-global/ - Die Slack-BetaCodex-Group
betacodex.slack.com