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Sabotieren Carousels die User Experience?

Sie sind überall: auf Startseiten großer Online-Shops, in Agentur-Portfolios und auf Kampagnen-Microsites. Carousels – also automatisch oder manuell wechselnde Inhaltsslider – wirken dynamisch, sparen Platz und ziehen visuelle Aufmerksamkeit auf sich. Kein Wunder also, dass sie in Kundenbriefings häufig gewünscht werden.

Doch was auf den ersten Blick modern und interaktiv erscheint, entpuppt sich bei genauerer Betrachtung oft als UX-Problemfall. Denn was gut aussieht, funktioniert nicht immer gut.

In diesem Artikel werfen wir einen differenzierten Blick auf das Phänomen Carousel: Wo sie sinnvoll sind, wo sie Probleme verursachen und wie man sie besser oder sogar ganz anders lösen kann.

Was ist ein Carousel?

Vergleich zweier UI-Elemente: Ein Carousel/Slider zur Inhaltsnavigation (links) und ein Material Design Slider zur Wertauswahl (rechts, als Lautstärkeregler).

Links ein Carousel/Slider zur Navigation durch verschiedene Inhalte, rechts ein Material Design Slider zur präzisen Auswahl eines Wertes, hier als Lautstärkeregler mit entsprechenden Icons dargestellt.

Die Begriffe „Slider“ und „Carousel“ werden im UI-Kontext oft synonym verwendet, was zu Missverständnissen führen kann. Je nach Framework oder Designsystem ist mit einem „Slider“ entweder ein Inhaltswechsler oder ein Eingabefeld (z. B. für einen Zahlenwert) gemeint. Für diesen Artikel gelten folgende Definitionen:

Carousel:
Ein UI-Element zur Anzeige mehrerer Inhalte (Slides), die durch Wischen, Klicken oder Autoplay nacheinander sichtbar werden.

Slider:
Wird teils als Synonym für Carousel verwendet, bezeichnet in Frameworks wie Material Design aber explizit Eingabefelder mit Schieberegler (Range-Input). Technisch basieren Carousels meist auf JavaScript- oder CSS-Logik, die Inhalte in einem horizontal scrollbaren Container darstellen. Libraries wie Swiper.js oder Komponenten aus Frameworks wie Bootstrap oder shadcn/ui übernehmen die Steuerung. Aus UX-Sicht gilt: Komplexe Technik (z. B. viele Slides, Autoplay, Animationen) birgt ein hohes Risiko für Performanceprobleme, lange Ladezeiten und Barrieren, was die Nutzererfahrung negativ beeinträchtigt.

Die UX-Probleme von Carousels

Trotz ihrer Beliebtheit gelten Carousels unter UX-Expert:innen als eines der am meisten überschätzten Interface-Elemente. In der Praxis zeigen sich immer wieder dieselben Schwächen, sowohl in der Nutzung als auch in der Wirkung.

Inhalte werden übersehen

Studien zeigen, dass Nutzer:innen meist nur den ersten Slide bewusst wahrnehmen. Alles, was danach folgt, bleibt oft ungesehen, insbesondere bei automatischem Wechsel. Carousels verleiten dazu, wichtige Informationen auf mehrere Slides zu verteilen, die dann schlicht ignoriert werden.

Autoplay stört den Lesefluss

Ein automatischer Slide-Wechsel kann für visuelle Unruhe sorgen und nimmt den Nutzer:innen die Kontrolle. Texte verschwinden, bevor sie zu Ende gelesen wurden, und die Orientierung leidet. Gerade bei barrierefreien oder inklusiven Interfaces ist das ein klarer UX-Negativpunkt.

Barrierefreiheit & SEO-Nachteile

Viele Carousels sind schlecht für Screenreader optimiert, lassen sich nicht per Tastatur bedienen oder werden bei fehlerhafter Umsetzung von Suchmaschinen nicht vollständig indexiert. Auch der Page Speed leidet, wenn viele hochauflösende Bilder in einem Carousel geladen werden, was sich negativ auf SEO und User Experience auswirken kann.

Mobile Nutzung: Reduzierter Platz

Hinzu kommt der stark eingeschränkte Darstellungsraum in der mobilen Ansicht. Inhalte, die auf Desktop gut lesbar oder sinnvoll strukturiert sind, werden auf kleinen Displays oft unübersichtlich oder unleserlich. Besonders Text oder komplexere Layouts lassen sich innerhalb der Slides kaum noch sinnvoll präsentieren, außer es handelt sich um rein visuelle Inhalte wie Bilder oder Icons.

Mobile Nutzung: Wischen oder Tippen?

Auf Mobilgeräten verschärft sich das Problem: Nutzer:innen wissen oft nicht, ob ein Wischen zum nächsten Slide führt oder ob es sich um statischen Content handelt. Ohne klare visuelle Hinweise oder Interaktionsaufforderungen („Swipe me“) bleibt das Carousel schlicht unbemerkt oder wird falsch verstanden.

Interaktive Flächen im Slide

Ein weiteres Problem ergibt sich, wenn innerhalb der Slides klickbare Elemente wie Buttons oder Links eingebaut sind. Diese konkurrieren nicht nur mit der Swipe-Geste zur Navigation, sondern auch mit dem restlichen Interface, wie etwa Navigationsleisten oder anderen interaktiven Elementen. Das erhöht das Risiko von Fehlbedienungen und mindert die Usability zusätzlich.

Studien & Datenlage

Carousels gehören zu den am meisten diskutierten UI-Elementen – und das nicht ohne guten Grund: Zahlreiche Studien, Tests und Nutzungsanalysen zeigen seit Jahren, dass sie in der Praxis häufig deutlich schlechter performen, als es ihr visuell ansprechender Eindruck vermuten lässt.

Geringe Klickzahlen & verpasste Inhalte

Eine häufig zitierte Studie der University of Notre Dame (2013) zeigt deutlich, wie selten Carousel-Slides tatsächlich genutzt werden:
Nur 1 % der Besucher:innen klickte überhaupt auf einen Slide und davon entfielen 84 % der Klicks auf den ersten. Die restlichen Slides wurden kaum wahrgenommen oder ignoriert. Quelle: erikrunyon.com - Carousel Interaction Stats

Aufmerksamkeit ≠ Interaktion

Die Nielsen Norman Group warnt seit Jahren vor sogenannter „Banner Blindness“: Carousels werden zwar wahrgenommen, aber oft als Werbung oder irrelevanter Content ausgeblendet. Die visuelle Präsenz führt also nicht automatisch zu Interaktion oder Verständnis. Quelle: nngroup.com – Banner Blindness

Autoplay sorgt für Informationsverlust

Besonders kritisch ist automatisches Weiterschalten: Usability-Tests zeigen, dass Inhalte durch Autoplay zu früh verschwinden, was den Lesefluss stört und zu verpassten Informationen führt. Nutzer:innen verlieren den Kontext – und klicken häufiger auf Dinge, die sie nicht vollständig verstanden haben. Quelle: nngroup.com – Auto-Forwarding

UX-Tools zeigen: Carousels werden kaum genutzt

Auch Heatmaps, Session Recordings und Scrollverhalten belegen:
Carousels erzielen weniger Aufmerksamkeit, weniger Interaktionen und geringere Conversion-Raten als statische Hero-Bereiche oder strukturierte Content-Abschnitte.
In der Praxis spricht das Nutzerverhalten also klar gegen Carousels – auch wenn sie im Designprozess oft als „moderne“ Lösung erscheinen.

Bad Practice

Carousels sind schnell eingebaut, aber oft schlecht umgesetzt. Viele der verbreiteten Carousels-Probleme resultieren nicht aus dem Element selbst, sondern aus dessen Ausgestaltung. Hier sind die häufigsten Fehler, die es zu vermeiden gilt:

Autoplay ohne Nutzerkontrolle

Ein automatisch wechselndes Carousel ohne Möglichkeit zur Pause oder manuellen Navigation stört den Lesefluss massiv, insbesondere bei längeren Texten oder auf mobilen Geräten. Zudem erschwert Autoplay die Barrierefreiheit und kann zu kognitiver Überforderung führen.

Fehlende Navigationselemente

Ein Carousel ohne Pfeile, Swipe-Hinweise oder Paginierung sorgt für Orientierungslosigkeit. Nutzer:innen erkennen oft nicht, dass weitere Inhalte verfügbar sind oder wissen nicht, wie sie diese erreichen können.

Zu viele Slides mit zu viel Inhalt

Wenn ein Carousel zehn Slides mit langen Texten oder mehreren CTAs enthält, wird es zur Geduldsprobe. Statt Klarheit entsteht Überforderung. Weniger ist hier mehr: maximal 3–5 Slides mit klaren Botschaften sind ein guter Richtwert.

Unzureichende Accessibility

Viele Carousels sind für Screenreader nicht erreichbar, lassen sich nicht mit der Tastatur bedienen oder geben keine Feedbacks zu Position und Wechsel. Damit sind sie für viele Nutzer:innen schlicht unbrauchbar und verstoßen gegen die WCAG Richtlinien zur Barrierefreiheit.

Carousels als „Above-the-Fold-Lösung“

Wichtige Informationen oder primäre CTAs in einem Carousel zu verstecken, ist riskant, denn viele Nutzer:innen sehen oft nur den ersten Slide. Inhalte, die für die Conversion entscheidend sind, dürfen nicht erst auf dem dritten Slide erscheinen.

Beispiele

Selbst bei Apple: Ein automatisches Carousel das sich nicht pausieren lässt und keine eindeutigen Navigationselemente hat. Zu welchem Element die Paginierung gehört ist nicht offensichtlich. 

apple.com

Die Navigationselemente des Carousel sind schwer zu erkennen und bewegen sich beim vertikalen Scrollen mit. Die Videos im Carousel lassen sich nicht pausieren.

zara.com

Best Practice

Trotz aller Kritik gibt es Szenarien, in denen ein gut gemachtes Carousel sinnvoll sein kann – vorausgesetzt, es wird mit Bedacht und unter Berücksichtigung moderner UX-Prinzipien umgesetzt. Hier sind die wichtigsten Best Practices:

Manuelle Steuerung ermöglichen

Gib den Nutzer:innen die Kontrolle: Ein Carousel sollte immer manuell durchklickbar sein – per Pfeile, Wischgeste oder Tastatur. Wenn Autoplay eingesetzt wird, muss es pausierbar und optisch steuerbar sein (z. B. durch ein Stop-Symbol oder beim Hover). Außerdem sollte die Position der Steuerungselemente nicht springen, damit reibungslos durch mehrere Slides navigiert werden kann.

Klare, fokussierte Inhalte pro Slide

Jeder Slide sollte genau eine zentrale Botschaft enthalten. Ein starker visueller Fokus (Bild oder Icon) plus ein kurzer Text und ein klarer Call-to-Action funktionieren besser als überladene Inhalte. Das Carousel ist kein Ersatz für eine ganze Landingpage.

Begrenzte Anzahl an Slides

Ein Carousel sollte nicht endlos sein. Studien empfehlen maximal 3–5 Slides. Alles darüber hinaus wird erfahrungsgemäß kaum genutzt und erhöht nur die Ladezeit. Bei mehreren Inhalten bietet sich eher ein Grid oder Tab-System an.

Deutliche Indikatoren & visuelle Navigation

Nutzer:innen müssen erkennen, dass sie sich in einem Carousel befinden und wie viele Slides es gibt. Punkte, Fortschrittsbalken oder eine Slide-Anzahl-Anzeige („1/4“) schaffen Orientierung. Pfeile sollten groß genug und barrierefrei klickbar sein. Bei der mobilen Umsetzung empfiehlt es sich, die Pfeile ergänzend zur Wischgeste anzuzeigen, um eine alternative Eingabemöglichkeit zu schaffen.

Mobile & Performance-Optimierung

Carousels müssen responsive sein, mit funktionierender Swipe-Navigation und touchfreundlichen Bedienelementen. Bilder sollten adaptiv geladen werden (Lazy Loading, passende Auflösungen), um Ladezeiten und Datenverbrauch zu minimieren.

Accessibility sicherstellen

Ein gutes Carousel ist auch für Screenreader und Tastatur-Nutzer:innen zugänglich. ARIA-Rollen, Fokus-Indikatoren, beschreibende Labels und alternative Texte sind essentiell. Auch visuelle Wechsel sollten nicht zu abrupt oder unvorhersehbar sein. Für automatische wechselnde Carousels muss ein Pause-Button vorhanden sein.

Beispiele

Ein Carousel dargestellt als Kartenstapel. Google verwendet bei dieser Demo klare Textlabel wie “Next Card” und “Show Me” und bietet eine Alternative zum Carousel in Form von einer Grid Darstellung (rechte Seite des Bildes)

Google - The Web Can Do What!?

Das Carousel-Modul von Zeit.de zeigt drei Elemente nebeneinander an. Es bietet klare Navigationspfeile für den manuellen Wechsel und einen Pause/Play-Button zur Steuerung des automatischen Slidewechsels.

Zeit - Plan D

Al­ter­na­ti­ven zum Carousel

Wenn ein Carousel UX-seitig nicht überzeugt oder die Inhalte darin kaum zur Geltung kommen, lohnt sich ein Blick auf andere UI-Patterns. Viele dieser Alternativen bieten bessere Übersichtlichkeit, höhere Interaktion und sind einfacher zugänglich – besonders auf mobilen Geräten.

Grid-Layouts mit gleichzeitiger Sichtbarkeit

Statt Inhalte nacheinander durchzuschalten, können sie auch nebeneinander dargestellt werden, zum Beispiel als Kachel- oder Kartensystem. So sind mehrere Optionen auf einen Blick sichtbar, und Nutzer:innen können direkt vergleichen oder auswählen.

Anstatt sich hinter Slides zu verstecken, lassen sich ähnliche Inhalte auch sehr gut als Grid darstellen.

Accenture - Startseite

Anstatt sich hinter Slides zu verstecken, lassen sich ähnliche Inhalte auch sehr gut als Grid darstellen.

Google - The Web Can Do What!?

Tabs oder Akkordeons

Besonders bei inhaltlich zusammengehörigen Themen helfen Tabs oder Akkordeons, Inhalte kompakt, aber dennoch vollständig zugänglich zu machen, ohne durch Slides klicken zu müssen.

Ein Akkordeonmodul, welches bei Interaktion ausklappt und zuätzliche Informationen und ggf. Bilder enthält
Ein Bild, unter dem 4 Tabs verlinkt sind, über die weitere Bilder angezeigt werden können
Ein Bild, neben dem 5 Tabs verlinkt sind, über die weitere Bilder angezeigt werden können

Akkordeons

Sie ähneln Carousels, bieten jedoch zusätzliche Informationen zu den Inhalten / Slides, die aktuell nicht sichtbar sind. 

Figma - Startseite

Horizontale Tabs

Sie ähneln Carousels, bieten jedoch zusätzliche Informationen zu den Inhalten / Slides, die aktuell nicht sichtbar sind. 

OpenAI - Sora

Vertikale Tabs

Sie ähneln Carousels, bieten jedoch zusätzliche Informationen zu den Inhalten / Slides, die aktuell nicht sichtbar sind. 

OpenAI - Sora

“Let them scroll”

Manchmal ist die simpelste Lösung auch die effektivste: Anstatt Inhalte in interaktiven Elementen wie Carousels zu verstecken, können sie in einer linearen Liste untereinander dargestellt werden. Besonders auf mobilen Geräten ist das Scrollen eine intuitive Bewegung und Nutzer:innen sind daran gewöhnt und übersehen so keine Inhalte. Zudem stellt das Scrollen eine deutlich niedrigere Hürde dar als das Klicken auf Tabs, Slider oder Buttons: Es erfordert weniger Entscheidungsaufwand und keine gezielte Interaktion, sondern passiert oft ganz automatisch.

Ein häufiger Einwand: „Aber dann ist ja nicht alles above the fold!“ Doch genau dieser Gedanke stammt aus der Zeit klassischer Desktop-Webseiten. Heute scrollen Nutzer:innen ganz selbstverständlich, oft sogar übermäßig, wie das Phänomen des Doomscrollings zeigt: Das endlose Durchscrollen von Inhalten, getrieben durch Neugier, FOMO oder schlicht gute UX. Dieses Verhalten kann (verantwortungsvoll genutzt) dafür sprechen, Inhalte offen darzustellen, statt sie hinter Slidern oder Tabs zu verstecken.

Eine klare visuelle Struktur, gezielte Ankerpunkte und relevante Inhalte sorgen dafür, dass auch längere Seiten nicht überfordern, im Gegenteil: Sie können Nutzende fesseln, leiten und zum Verweilen einladen.

Fazit: Wann sind Carousels sinnvoll, wann nicht?

Carousels können funktionieren, wenn sie bewusst als Stilmittel eingesetzt werden, nicht als Informationsträger.

Hier eine Entscheidungshilfe:

Sinnvoll bei…Ungeeignet bei…

Präsentation visueller Inhalte (z. B. Logos)

Storytelling oder chronologische Abläufe

Optionaler Zusatz-Content (z. B.Testimonials) 

Rein visuelle Kampagnenelemente

Vermittlung wichtiger Botschaften oder CTAs

Informationen, die vollständig erfasst werden müssen

Navigation oder Conversion-relevante Inhalte

Mobile-First-Strategien ohne klare Swipe-Hinweise

Merksatz

Wenn der Inhalt für die Nutzer:innen entscheidend ist und nicht der Effekt der visuellen Darstellung, dann ist ein Carousel selten die beste Wahl.